Worin errechnet sich das Wert eines Lebens?
In der Anzahl der vergossenen Tränen, wenn du nicht mehr bist?
In der Anzahl der Erinnerungen mit dir?
In der Zahl deiner Werke jeglicher Form, die dich überleben?
In deinem Einfluss auf die Welt? Worin errechnet sich dieser?
Zählen Kindertränen doppelt so viel?
Stirbst du ein zweites Mal und damit endgültig, wie im Zeichentrickfilm Coco, wenn die letze irdische Erinnerung an dich verstummt?
Hannah Arendt würde sagen, dass dein Leben das gewesen ist, was über dich im Nachhinein erzählt wird. So eine Art Legende über dich aus der Sicht der Außenstehenden. Eine oft niemals geschriebene Biografie.
Ich glaube fast, dass viele einflussreiche Menschen ihre eigenen Memoiren im reifen Alter deshalb veröffentlichen, weil sie damit diese nachträgliche Legende über sich selbst ein Stück weit mitschreiben möchten, um mehr Kontrolle über ihr Leben nach dem Tod zu behalten.
Dennoch scheint es mir, auch wenn ich selber immer wieder eine Bestätigung im Außen suche (und das ist nun mal unsere soziale Seite, die nur schwer abzutrainieren ist), dass das nicht alles sein kann, was letztendlich zählt.
Denn so oft sind wir alleine. Wir werden alleine geboren: Wir entstehen im Mutterleib, und sobald unser Hirn auf Hochtouren zu laufen beginnt, sind wir zwar in der Mutter und dennoch alleine. Die Mutter umgarnt uns wie ein kleines Stück Universum.
Doch so weit zurück muss man gar nicht denken. Tagtäglich schlafen wir alleine ein, auch wenn jemand daneben liegt, laufen im Kopf die existenziellsten Momente des Tages ab. Eine Rekapitulation. Eine kleine Todesübung.
Wir wachen dann am nächsten Morgen alleine auf in einer kalten Dusche aus sprudelnden Gedanken.
Wir denken überhaupt immer alleine. Da war mal was. Ich denke, also bin ich.
Wir sind alleine, wenn wir wegdriften, wenn wir Angst oder Freude haben, und auch wenn die anderen es mit uns teilen, und daraus ein halbes Freud oder Leid wird, bleibt die Hälfte immer noch bei uns selbst. Das halbe Päkchen tragen wir immer alleine.
In so einem Leben, wo die wichtigsten Momente, die ganzen für alle anderen unsichtbaren Seelenbewegungen, die ganzen nach außen stummen Implosionen, die innendrin alles zerfetzen und eine Wunde hinterlassen, die sich vernarbt und immer wieder spannt; Wo wir, nur vom eigenen Gedankenstrom begleitet, täglich in die Bewusstlosigkeit rein und aus ihr wieder hinaus gleiten; Wo wir am Grunde der Dinge am meisten über uns selbst zu berichten haben, selbst wenn wir unser Unterbewusstes nie ganz begreifen werden; In dieser Welt mit diesem Menschenwesen kann es doch nicht sein, dass das Wert eines Lebens sich ausschließlich im Außen manifestiert.
Das ist wahrscheinlich alles, was ich dazu sagen kann, was ich zu sagen in der Lage bin. Wir wissen noch viel zu vieles nicht, was das Thema betrifft, und machen seit Jahrhunderten überschnelle positivistisch-wissenschaftliche Schlüsse. Der Gott ist tot und wir mit ihm.
Ich würde ihn nicht zu schnell begraben, auch wenn da, wo einst der Mann auf Wolke saß, heuer Flugzeuge und Raketen fliegen, so umgarnt uns nach wie vor das Universum, das wir weder fassen noch begreifen können.
Ich glaube fest, dass jedes Leben, diese Innensicht eines jeden Menschen, diese Seele, oder ich nenn's am liebsten Energie nicht nicht zählen kann. Welches Lied könnte diese Energie singen, während sich das Äußere von der Welt und die Welt von dem Äußeren verabschieden? Ich stelle eine Kerze in den Wind und höre der Stille zu.
Im liebevollen und dankbaren Gedenken an Silvia Brunner, einen wundervollen Menschen und einer wichtigen Bezugsperson für meine Tochter. Du wirst vermisst!
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