Garten Eden ist das, was Kommunismus versucht hat zu werden. Wir haben Götter ausgelöscht und nichts als Ersatz gefunden. Wir denken, wir seien rational und fliegen ohne 13. Reihe, leben ohne 13. Stock und spucken, meist von den anderen versteckt, wenn eine schwarze Katze uns den Weg kreuzt. Wer aber zu den Pflanzen spricht, ja, der hat einen Hau.
Unsere Träume sprechen noch zu uns, es ist die letzte Zuflucht der archaischen Psyche. Wir führen Kriege, weil wir uns selbst zerstören möchten, dabei könnte jeder von uns etwas tiefer in sich hinein blicken. Irgendwo liegt die Antwort; keine finale Antwort, denn die meisten Symbole sind mehrdeutig. Aber vielleicht kommen wir trotzdem auf einen grünen Zweig.
Ich habe mich nie komplett als Russin gesehen bis zu dem Krieg. Dann hatte ich keine Wahl. Die Realität hat mit voller Wucht zugehauen. Meine jahrelang geduldig verdrängte heile Welt brach zusammen; ich habe angefangen, nach der Wurzel dieses Übels zu graben, und fand einige Meilensteine auf diesem Weg, auf den wir 2022 schief abgebogen sind, ich spule diese Kassette ab da mal zurück:
Dezember 2021
Putins Truppen stehen bereits an der ukrainischen Grenze.
August 2020
Alexey Navalny wird vergiftet.
Mai 2020
Russländische Verfassung wird umgeschrieben. Nochmal. Weniger Homosexullenrechte. Putins Regierungsjahre werden genullt. Er darf nun bis 2036 regieren. Als Trostpflaster gibt’s höhere Renten – zumindest auf Papier.
März 2018
Putins letzte Wiederwahl. Wahlbeteiligung 67%. Wahlbeteiligung unter den im Ausland lebenden Russen: 2%. Ich auch ignoriere die Briefwahl.
2015
Russischer Regimekritiker Boris Nemtsow direkt vor Kremlins Mauern erschossen.
2014
Boris Nemtsow warnt bei der Kundgebung in Moskau vor dem Krieg in der Ukraine. Die Großdemo ruft „Nein zum Krieg!“.
2014
Krimannexion. DNR. LNR. Surkow, damals Putins Berater, sagt: „Russische Welt ist die Welt, in der man Angst vor russischen Waffen hat“.
2011 und 2012
Großproteste in Russland vor und nach Putins Wiederwahl. Insgesamt bis zu 100 Tausend Menschen auf den Straßen. Am letzten Tag werden 37 Demonstranten für 2,5 bis 4,5 Jahre eingesperrt. Oppositioneller Ilja Yashin warnt vor dem Krieg in der Ukraine.
Mai 2007
Ein Auto mit dem Aufkleber „Wir können‘s wiederholen“. Bezogen auf den Zweiten Weltkrieg.
2006
Putin verwendet den Terminus „russki mir“ – „russische Welt“ folgendermassen: „Die russische Welt kann und sollte alle vereinen, die das russische Wort und die russische Kultur schätzen, egal wo sie leben, in Russland oder im Ausland.“ Benutzen Sie den Ausdruck „Russische Welt“ öfter.“
2005
Georgisches Band als Symbol der Erinnerung an den Sieg gegen Nazismus im Zweiten Weltkrieg wird etabliert.
2001
Alexej Miller wird Gazproms Präsident. Oligarchenherrschaft in Russland blüht.
Silvester 2000
Putin wird überraschend Präsident Russlands. Alle Russen verwundert vor den Fernsehern. Wir auch. Ich bin damals 6 Jahre alt.
Dezember 1997
Begriff „russki mir“ wird eingführt. Darin wird Russland nicht als Herkunftsort, sondern als Schicksal betitelt. Die Russische Welt sei Teil einer friedlichen Welt, mit der Russland im Austausch stehe.
1993
Russlands Parlamentgebäude brennt. Eltzin beschießt es mit den Panzern und entlässt das Parlament. Die Verfassung wird umgeschrieben. Noch mehr Macht dem Präsidenten.
1991
Die Sowjetunion zerfällt. Die wilden 90er beginnen. Einige wenige werden über kurze Zeit sehr reich.
1950-60er
Repressionen in der Sowjetunion. Das Verpetzen wird staatlich belohnt.
9 Mai 1945
Siegestag in Sowjetunion wird etabliert. Sowjetunion will einen eigenen Siegestag haben. Was als Tag der Erinnerung beginnt, wird zunehmend zu Militärkult, Waffenparaden inklusive.
1932-1933
Holodomor. Die Sowjetunion lässt ukrainische Bevölkerung verhungern. 4,5 Millionen Menschen sterben. 600 Tausend Geburtsabbrüche auf verschiedenen Stadien.
1876
Russischer Zar Alexander II. verbietet alle Publikationen auf Ukrainisch. Die Bevölkerung wird zwangsrussifiziert.
Wenn mir aber ein Moment in der neuen russischen Geschichte Hoffnung schenkt, so ist es auf den Putsch vom 1991 (wo die kommunistischen Parteikollegen sich gegen Gorbatschow und damit auch gegen Eltzin verschworen haben) darauffolgende gewaltfreie Widerstand, der sich in Russland aus der Bevölkerung heraus breit machte. 200 Tausend gingen allein in Moskau auf die Straße; und wie dann der weiß-blau-rote Trikolor getragen wurde, durch die ganze Stadt. Ganz dieselbe Fahne, die wir in den Demos vor zwei Jahren als blutverschmiert und imperialistisch anprangerten. Die stand mal für was anderes; die Menschen, die diese 120-Meter-Fahne durch die ganze Stadt im Zeichen der Demokratie trugen, und zu denen immer mehr Menschen dazukamen, hatten Hoffnung. Die sahen das Licht am Ende des Tunnels, und dieses Licht trugen sie selbst; waren sie selbst. Sie haben sich nicht von der mächtigen Spitze einschüchtern lassen. Sie haben die aufstrebende Demokratie gespürt und wollten sie sich nicht mehr nehmen lassen.
Es ist nicht eins zu eins auf heute übertragbar, das ist mir bewusst. Da waren's die Putschisten, die mit zitternden Händen (buchstäblich, da gibt's ein Video von deren Rede, wo einem die Hände nur so zittern) nach der Macht griffen, heute haben wir es mit einem Diktator zu tun, der seit fast 25 Jahren an seinem repressiven Apparat feilt.
Trotzdem denke ich gerne in Möglichkeiten.
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