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Ja und

Kennst du das, wenn jemand „Ja, aber …“ sagt – und du alles vor dem Aber sofort vergisst?

 

Mir geht das ständig so. Obwohl der Satz ja eigentlich vermitteln soll: Ja, ich sehe deinen Punkt UND ich habe noch eine andere Perspektive. Aber genau das passiert selten. Viel zu oft wird das Aber als rhetorische Keule benutzt, um dem ersten Teil die Kraft zu nehmen. Und das stört mich. Denn wir leben in einer Zeit, in der es dringend nötig wäre, Dinge nebeneinander stehen lassen zu können. In der es nicht immer um entweder – oder gehen darf.

 

Wir brauchen mehr „Ja, und“.

     

Ja, Putin ist ein Kriegsverbrecher. Und: die NATO-Osterweiterung ist nicht konfliktfrei verlaufen.  Beides ist wahr. Beides darf gleichzeitig gesagt werden. Dagegen kann ich  „Ja, Putin ist ein Kriegsverbrecher, aber...“ nicht mehr hören. Es ist, egal wie gut gemeint es ist, eine Relativierung. Der erste Teil wird abgeschwächt, verliert seine Bedeutung.

 

Das Problem liegt in der Grammatik unserer Gedanken. Sobald wir aber sagen, öffnen wir ein Wertungsgefälle zwischen dem ersten und dem zweiten Halbsatz. Und gerade bei sensiblen, komplexen Themen wie Krieg oder sonstigen politischen Zusammenhängen ist das gefährlich. Denn es geht nicht darum, gegeneinander aufzurechnen, sondern darum, Komplexität auszuhalten.

 

Ich habe gerade eine Philosophiehausarbeit über Kästchenbildung geschrieben. Über Kategorien. Über das Bedürfnis, die Welt und vor allem die eigene Identität penibelst zu sortieren, und die gleichzeitige Gefahr, sich darin zu verlieren. Der Islamwissenschaftler Thomas Bauer spricht von einer „Verlustgeschichte der Ambiguität“. Wir glauben zwar, alles werde heutzutage individueller und differenzierter, aber in Wahrheit landen wir oft nur in immer feineren Schubladen kollektiver Identitäten. Wir versuchen ständig Ambiguität auszulöschen, und sie kehrt doppelt zurück, weil sie sich als Teil der Natur nicht einfach eliminieren lässt.

 

Und deswegen macht das Aber mir Sorgen. Denn in einer Zeit, in der alles lauter wird – Social Media, politische Lager, persönliche Identitäten – brauchen wir nicht noch mehr Aber, sondern mehr Und.

 

„Ja, und“ erlaubt, dass zwei Aussagen gleichzeitig wahr und gleich viel wert sein können.
„Ja, und“ schafft Raum für Nuancen, ohne zu gewichten.
„Ja, und“ ist, wenn man sagt: Ich sehe deinen Punkt. Und ich möchte dir etwas ergänzen, nicht entgegenschleudern.

 

Ich finde, wir sollten im Kleinsten anfangen – bei unseren Gesprächen. Bei unseren Formulierungen. Bei dem inneren Dialog mit uns selbst. Denn Sprache verändert Denken. Und Denken verändert Haltung.

 

 

Also: Ja, die Welt ist kompliziert.
Und genau deshalb müssen wir aufhören, ihr mit Aber zu begegnen.

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