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C. G. Jung und die Welt der wissenschaflichen Esoterik

Carl Gustav Jung ist einer der wenigen Menschen, der für mich die Welt der Sachbücher zum Verschlingen eröffnet hatte. So bin ich letzten Sommer in einer absoluten Flow-Stimmung stundenlang am Balkon oder am Donau-Ufer frühmorgens um Viertel vor Fünf gesessen. Ich bin buchstäblich mit den ersten Sonnenstrahlen auf seinen Buchseiten in den Tag gestartet. 

 

Ich wusste natürlich längst, wer C. G. Jung ist, aus den Psychologie- und Philosophievorlesungen und Netflix-Serien. Nur kam ich nie dazu, ihn tatsächlich zu lesen und gab mich mit den Stichwörtern kollektives Unbewusstes und Archetypenlehre zufrieden.

 

Über meine Beschäftigung mit wissenschaftlicher Esotherik (ja, das geht!), kam ich auf sein Buch Synchronizität. So ging die Reise los.

 

Das, was ich darin gelesen hatte, hat mich in all dem bestätigt, was ich schon lange von der Welt gehalten habe, nämlich, dass viele Dinge nicht kausal aber dennoch auf akausale Weise logisch-bedeutungsvoll miteinadner verknüpft sind. Und das nichts mit selektiver Wahrnehmung zu tun. Die Dinge ziehen sich regelrecht an. Heute mussten wir unserer Tochter von dem Ableben ihrer wichtigen Bezugsperson erzählen und just als ich in der ersten emotionalen (und Rauch-)pause den E-Dampf das Küchenfenster hinaus atmete, sah ich eine große Auto-Prozession. Schwarze Autos, schwarz gekleidete Menschen. Noch jemand ist gestorben. Nicht weit von uns in der Straße ist ein Friedhof, anfangs fand ich das befremdlich, doch das legte sich. Ich zeigte meinem Mann auf die Prozession. 

Klar, dahinter ist ja Friedhof. 

Du verstehst nicht, mein ich, ausgerechnet jetzt. Als würden sich die Geschehnisse anziehen. 

 

Gar nicht unbedingt im Tod an sich, aber vielleicht zog es die anderen Trauenden irgendwie energetisch an, ausgerechnet vor unserem Haus zu parken, in dem vor 15 Minuten auch Tränen flossen. Solche sinnvoll-akuasalen Verbindungen versucht Jung auf über 200 Seiten greif- und verstehbar zu machen.

 

Wenn wir von Hellsehen, Telepathie oder Vorahnung hören, denken viele an esoterische Spekulationen.

 

Jung beschreibt in seinem Buch wie der US-amerikanische Psychologe J. B. Rhine es genau wissen wollte und in den 1930er Jahren eine Reihe Experimente entwickelte, um sogenannte außersinnliche Wahrnehmung (ESP – extrasensory perception) wissenschaftlich zu testen.

 

Im bekanntesten Versuch benutzte Rhine einen Satz aus 25 Karten, auf denen jeweils eines von fünf Symbolen abgebildet war (Stern, Quadrat, Kreis, Kreuz, zwei Wellenlinien). Die Karten wurden verdeckt und in zufälliger Reihenfolge ausgelegt. Die Versuchsperson sollte raten, welches Symbol sich auf der jeweils gezogenen Karte befand – ohne sie sehen zu können. Die Wahrscheinlichkeit, zufällig richtig zu raten, lag bei 1:5. Statistisch wären also 5 richtige Antworten bei 25 Karten zu erwarten. Doch in Rhines Versuchsreihen mit teils über 800 Durchgängen pro Serie lag der Durchschnitt überraschend bei 6,5 Treffern. Noch verblüffender: Manche Personen erzielten doppelt so viele Treffer wie zu erwarten gewesen wäre – einige sogar alle 25 richtig. Die Wahrscheinlichkeit für ein derart perfektes Ergebnis liegt bei 1 zu 289.023.223.876.953.125.

 

Rhine wiederholte die Experimente unter verschiedenen Bedingungen. Die räumliche Distanz zwischen Versuchsleitung und Versuchsperson wurde auf bis zu 4000 Meilen ausgeweitet – ohne Einfluss auf die Ergebnisse. In einem weiteren Versuch sollten die Probanden Karten erraten, die erst in der Zukunft gezogen werden würden, mit einem zeitlichen Abstand von wenigen Minuten bis hin zu zwei Wochen. Auch hier waren die Trefferzahlen statistisch signifikant – mit einer errechneten Wahrscheinlichkeit von 1 zu 1.400.000, dass es sich nur um ein Zufall handeln würde.

 

Schließlich testete Rhine auch sogenannte psychokinetische Fähigkeiten (PK): Versuchspersonen sollten durch reine Willenskraft die Augenzahl von geworfenen Würfeln beeinflussen. Je mehr Würfel gleichzeitig verwendet wurden, desto deutlicher zeigte sich eine Abweichung vom Zufall. Die Psyche, so das Ergebnis, konnte offensichtlich Einfluss auf physische Vorgänge nehmen, ein Effekt, der nach Ansicht von C. G. Jung auf eine psychische Relativität von Raum und Zeit hindeutet. Die Konsequenzen sind tiefgreifend. Weder das klassische Kausalgesetz noch der Energieerhaltungssatz lassen sich auf Rhines Ergebnisse anwenden. Es scheint vielmehr, dass hier nicht kausale, sondern bedeutungsvolle Koinzidenzen, also Synchronizitäten, vorliegen: höchst unwahrscheinliche, aber sinnhafte Übereinstimmungen zwischen inneren Zuständen und äußeren Ereignissen.

 

Jung beobachtete zudem ein interessantes psychologisches Muster: Frühe Versuchsreihen einer Person waren oft erfolgreicher als spätere, und die Trefferquote schien stark von der Stimmung der Versuchsperson abzuhängen. Glaube, Offenheit und eine optimistische Grundhaltung förderten die Resultate. Skepsis und Widerstand hingegen wirkten hemmend. Diese Affektivität, also die emotionale Verfassung der Person, scheint eine entscheidende Bedingung dafür zu sein, dass sich solche Phänomene überhaupt zeigen, wenn auch nicht in jedem Fall.

 

Trotz dieser Erkenntnisse betonte Jung: Das Auftreten der Treffer ließ sich nie genau vorhersagen. Es handelte sich also nicht um ein Gesetz, sondern eher um das Auftauchen unwahrscheinlicher Zufälle, die nicht kausal erklärbar, aber dennoch sinnhaft erscheinen. Er sprach deshalb von „sinnvollen Koinzidenzen“ – Begegnungen zwischen Psyche und Welt, die wie verabredet wirken, obwohl sie es nicht sind.

 

Als nächstes war für mich sein mit seinen Nachfolgern geteiltes Buch Der Mensch und seine Symbole dran. Da waren auch einige Gedankenschätze begraben.

 

Jung hat zum Beispiel das freie Assoziieren als ein wichtiges und legitimes Instrument zum Begreifen der Realität gesehen. Im nächsten Schritt stellte er eine Verbindung zur Magie von Kristallkugeln her – und auch zur Kunst, Assoziationen hervorzurufen und wachzurütteln, um neue unbewusste Inhalte zugänglich zu machen. Vielleicht lässt sich damit auch jene Form sensibler Mystik erklären, durch die manche Menschen schneller und besser an unbewusste Inhalte (die eigenen wie die anderer) herankommen. Weil sie über eine besondere Grundempfindlichkeit verfügen, eine Kraft des von der Logik abstrahierten und dennoch hochwachen Hineinspürens, durch die sie mit scheinbar mystischen Mitteln wie Kristallkugeln oder dem Lesen aus dem Kaffeesatz tatsächlich zu neuen Erkenntnissen gelangen können. Dabei sind diese Mittel an sich eigentlich irrelevant, sie sind einfach nur rituelle Attribute, die dem jeweiligen Menschen den Zugang zum freien Assoziieren, zu der Intution erleichtern.

 

Eine Freundin von mir hat mir übrigens an meinem Kaffeesatz aus dem Nichts Schwangerschaft und Hochzeit vorhergesagt. Ich hatte zu dem Zeitpunkt an Voraussetzungen dafür nur einen festen Freund. Paar Monate später war beides soweit. Es war Frühling und ich dachte noch, eine gute Freundin von mir ist gemeint, die im September heiratet. Ich dachte, ich würde eben bei ihrer Hochzeit dabei sein. Naja, im August war ich selbst dran. Mit Nummer drei in meinem Bauch.

 

Ich war schon als Kind gerne mystisch-esotherisch unterwegs. So eine Welt mit Geistern und Energien, eine Art nur uns zugängliche alternative Realität, hat viel mehr Spaß gemacht, als die trostlosen Petersburger Straßen im Herbst oder gar im Winter. Die Straßen einer Stadt mit weißen Nächten, aber auch mit langen Polarwintern mit kaum Sonnenlicht. Wo Erwachsene, die es nicht besser wussten, zu Alkohol griffen, griffen wir Kinder zur Phantasie. Das war aber auch so ein Ding, wo mir alle prophezeit haben, ich würde da herauswachsen. Ist nicht geschehen. Ich bin noch immer ein großes Kind mit einem Hang zum Unerklärlichen als Kontrastprogramm zu meiner Liebe zu den logischen Rätseln. Es ist aber auch gar kein Widerspruch, eher eine dialektische Synthese in der Suche nach dem wahren Grund der Dinge. Esotherik ist auch nur so lange Esotherik, bis wir eine Erklärung für empirisch gehäuft auftretenden Phänomene finden.

 

Wie auch bei C.G. Jung: Die Hexe mit einer Kristallkugel ist im Prinzip einfach nur empfänglicher für assoziative, unterbewusste Inhalte der anderen Menschen. Wahrscheinlich werden wir später Energiesensoren in uns Menschen finden, die auch die Hexen und Wahrsager auf den Grund der wissenschaftlichen Tatsachen bringen. Diese Vorstellung ist gar nicht so abwegig. Wie oft wurden Science-Fiction-Märchen schon Realität? Und ich bin immer erstaunt, mit welcher Wehemenz sind die Wissenschaft heute von allem esotherischen abgrenzt. Es ist schon ziemlich abwegig, vorausgesetzt, dass wir noch immer von ganz vielen Dingen unserer Welt keine (abschließende) Ahnung haben.

 

Das andere Thema bei Jung, das ich interessant fand, war, dass man Dinge vergisst, um für neue Ideen in unserem Hirn Platz freizuräumen, und dass man daher als erstes Dinge vergisst, die ihre emotionale Höhe für einen verlieren oder die Dinge, mit denen wir uns nicht mehr identifiziern. Und das ist interessant, weil wenn ich jetzt meine alten Tagebücher lese, meine Erinnerungen aus der Zeit, wo ich 14-15 war, weiß ich, dass ich nur noch Dinge erinnere, die mir nicht mehr so peinlich sind. Beziehungsweise dass ich Dinge vergesse, die mir als Persönlichkeit nicht mehr entsprechen. Also, dass ich mich nur noch das erinnere, womit ich mich auch als Persönlichkeit heute identifiziere.

 

Und was auch interessant ist bei Carl Jung, dass diese gewisse Spaltung der Persönlichkeit bzw. diese Schizophrenie, die auch bei den psychisch-gesunden Menschen in den Hirnen blüht, bzw. diese weichen Stellen des Bewusstseins den Zugang zum Unbewussten öffnen. Da, wo wir kurz das Rational-Logische loslassen, kommen wir zum Archetypisch-Unbewusst-Wahren. Wobei diese Wahrheit hochsymbolisch und hochindividuell ist. In uns ist also eine Stelle vorgesehen, wie eine Steckdose für das kollektive Unterbewusste (nicht biologisch zu verstehen), dass es in uns einfließen kann. Deswegen ist auch NLP mit all seinen Affirmationen so wirksam, wenn wir Dinge zu behaupten von dem, was wir sein wollen, weil letztendlich unsere Persönlichkeit sowieso fluide ist. Wir müssen nur lernen an die neuen Glaubenssätze wirklich zu glauben, dann werden die automatisch ein Teil von uns.

 

Wir gehen als rationale Wesen davon aus, dass wir einen festen Kern in uns haben. Das gibt uns zwar Sicherheit, morgen wieder als gleicher Mensch aufzuwachsen und sich nicht von sich selber zu erschrecken, aber eigentlich ist es Schwachsinn. Eigentlich sind wir fluide, aus Erfahrungen und Glaubenssätzen zusammengeflickte Persönlichkeiten mit ein paar imaginären Steckdosen zu unserer kollektiven symbolischen Cloud. Irgendwie ist es aber lebensbejaend. Und uns Menschen zusammenbringend.

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