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C. G. Jung #2

In unseren Träumen kommen oft ganz alltägliche Dinge vor – Straßen, Tiere, Menschen – die uns aber im Traum plötzlich bedrohlich oder seltsam erscheinen. Dieses Phänomen beschreibt C. G. Jung als ein typisches Merkmal des Unbewussten, das mit symbolischer Verdichtung arbeitet, denn diese Dinge wirken deshalb anders, als im realen Leben, weil sie mit mehreren Bedeutungen geladen sind.

 

Träume können auch metaphorisch sein. Jung erzählt etwa von einem Traum, in dem ihm ein Mann, den er im wachen Leben nicht mochte, buchstäblich auf den Rücken stieg. Die Redewendung „jemandem auf den Buckel steigen“ wurde dabei wortwörtlich ins Bild gesetzt. Unser Unbewusstes spielt mit Sprache und Symbolen, teils auch mit solchen, die uns im bewussten Leben gar nicht mehr geläufig sind. Hierin sehen wir noch Jungs Nähe zu Freud, der ebenfalls die Mechanismen der Verdichtung (neben Verschiebung und noch ein paar anderen) im Traum beschrieben hatte.

 

Anders als Freud aber, der in jedem Traum eine Wunscherfüllung sah (oft eines verdrängten, und noch öfter eines sexuellen Wunsches aus der Kindheit), beschrieb Jung Traüme als kompensatorisch. In anderen Worten: Sie stellen eine Art Gegengewicht zum bewussten Leben dar. Dieser Unterschied scheint zunächst nur begrifflich, hat aber weitreichende Konsequenzen. Während Freud Träume als Ausdruck des durch innere Zensur gejagten Unbewussten interpretiert, sieht Jung in ihnen eine Rückbindung an eine tiefere, symbolisch-archaische Psyche, eine Psyche, die in unserer modernen, technisierten Welt immer mehr wegrationalisiert wird.

 

Jung sagt auch, dass viele Träume warnen, manchmal sehr direkt, manchmal eben verschlüsselt. Sie machen unsere sogenannte bewusste Vernunft, die an den selben Stellen gegen die Wand rennt, darauf aufmerksam, dass eine Wand da ist.

 

Jung kritisiert in seinen Schriften, und das schon in den 1950er-Jahren (!) die zunehmende Rationalisierung unserer Welt. Er warnt davor, dass durch die permanente Reizüberflutung – Werbung, politische Propaganda, äußere Ideale – eine psychische Dissoziation entstehen kann. Der moderne Mensch versucht, „vernünftig“ zu sein, dabei verliert er den Zugang zu jenen magischen, intuitiven Strukturen, die in sogenannten primitiven Kulturen noch selbstverständlich sind. Wir glauben, viel weiter zu sein. Aber wir sind es nicht. Wir haben die Dinge nur woandershin verlagert, oft in halbbewusste Glaubenssätze.

 

Wir blicken ungläubig auf Kulturen, in denen Opfer dargebracht wurden, es erscheint uns gewalttätig, und das ist es auch. Aber was, wenn hinter diesen Ritualen die Vorstellung steckt, dass das Gute nur durch ein Opfer möglich ist? Diese Idee, dass etwas nicht zu lange gut gehen kann, begegnet uns auch heute noch, in Gesprächen, in Sprichwörtern, in unserer Haltung zum Glück. Vielleicht handelt es sich um einen archetypischen Glaubenssatz, dass das Gleichgewicht nur durch einen Ausgleich auf der Gut-Schlecht-Waage wiederhergestellt werden kann. Es läuft zu gut. Man muss ein Opfer bringen. Heute heißt dieses Opfer Selbstsabotage und/oder Prokrastination.

 

Wo waren wir? Ich war kurz eine rauchen nach lauter anstrengender Arbeit. Also, die Archetypen.

 

Ein zentraler Gedanke bei Jung ist der der Archetypen, Urbilder, die tief in unserer Psyche verwurzelt sind. Er vergleicht sie mit biologischen Spuren der Entwicklung: Wie Embryonen menschlicher Föten eine Zeit lang Ähnlichkeit mit den tierischen Embryos haben, so trägt auch unsere Psyche Relikte früherer Entwicklungsphasen in sich. Deshalb berühren uns Geschichten vom Helden, der ins Unbekannte aufbricht, so tief.

 

Diese Muster sind nicht angelernt. Wir tun sie zuerst, lange bevor wir sie intellektuell begreifen. „Am Anfang war die Tat“, sagt Jung, im Rückgriff auf Goethe. Erst später folgt die Sprache und die ausgeklügte Interpretation zur Selbstberuhigung, warum man denn so und nicht anders gehandelt hat (ist übrigens mittlerweile sogar wissenschaftlich nachgewiesen). 

 

Viele unserer heutigen Rituale – Weihnachten, Ostern, Geburtstagskerzen, bestimmte Gesten – sind Reste solcher kollektiven Handlungen, deren ursprünglicher Sinn längst vergessen ist. Wir wissen oft nicht mehr, warum wir Dinge tun, aber wir tun sie trotzdem. Und es ist mehr als ein „Das war schon immer so“. Diese Feste haben Kreuzzüge und Weltkriege überlebt. Vielleicht steckt mehr dahinter, als meets the eye.

 

Vielleicht verbirgt sich in den Tiefen der kollektiven und individuellen Psyche überhaupt viel mehr, than are dreamt of in your philosophy.

 

 

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