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Nacht der Poesie in Regensburg

Die Vorstellung im Naturkundemuseum am 28.6.25

 

Warum schreibt ein Mensch Gedichte?

 

Weil man mit 6 Jahren den Herbst schön findet. Dann klingt es so:

Осень, осень золотая,
Осень, осень золота,
Осень, осень непростая,
Осень, осень не проста.

sinngemäß

 

Herbst, o Herbst, du bist so golden,

So golden bist du,

Herbst, o Herbst du bist so holden,

So holden bist du.


Mit 8 Jahren wird es etwas fortschrittlicher:

Осень, осень золотая.
Все деревья зелены.
Выпал снег, и он не тает.
Долго-долго ждать весны.

sinngemäß & rhythmisch

 

Herbst, du bist so golden-braun.

Alle Bäume stehen grün.

Fiel der Schnee und will nicht taun.

 

Dauert’s bis zum Frühling nun.


Dieses Naturbild war in St. Petersburg, wo ich aufgewachsen bin, nicht wirklich unüblich.

Es gab ein Jahr, da lag bis Juni noch Schnee.

Ein Jahreszeitendurcheinander. Das fand ich mit 8 ziemlich witzig. Und inspirierend.

Warum schreibt ein Mensch mit 14 noch Gedichte?

Weil man plötzlich eine Bezugsperson verliert und einem der Tod so richtig bewusst wird.

Kocмoc

 

И летели подаль две ярких планеты,

Не боясь отойти от единого курса.
И летели в потоке слепящего света,
Добиваясь минутной потери пульса.

 

Ни в степи, ни в лесу, ни в холёной долине
Ни единого звука: ни трели, ни крика.
И на стёртой ветрами забытой равнине
Ни души. Только тени скользят тихо.

 

Мы смотрели на небо в вечернем закате,
Не заметив секундной, сияющей вспышки,
Не заметив, что, спрятавшись в звучном раскате,
Две звезды, две планеты рванули с вышки.

 

 

Нам ведь тоже с тобою немного отмерено:
Меньше солнца, но больше того мотылька,
Что, за смертью летя по дороге проверенной,
Разбивается пылью о века.

sinngemäß & rhythmisch

 

Der Kosmos

 

Zwei helle Planeten, sie flogen dicht,
Ohne Angst, vom gemeinsamen Kurs abzuweichen.
Und sie flogen im Strom des blendenden Lichts,
Einen kurzen Pulsverlust erreichend.

 

Weder Steppe, noch Wald, noch gepflegter Strand
Gibt ein Laut von sich auf der ganzen Reise.
Ein vom Wind verwischtes, vergessenes Land.
Keine Seele. Nur Schatten gleiten leise.

 

Wir sahen zum Himmel, die Sonne ging unter
Wir merkten nicht, wie es kurz aufblitzte

Merkten nicht, wie, verborgen im dröhnenden Wunder,
Zwei Sterne den Turm hinunterflitzten.

 

 

Du schläfst ein, einen weiteren Tag verbuchend.
Kleiner Falter begegnet der schlafenden Welt,
Und den Tod auf vertrautem Wege suchend
Als Staub an der Zeit zerschellt.


Warum schreibt man mit 15 Gedichte? Weil einem bewusst wird, dass man nächstes Jahr alleine nach Deutschland fahren wird, um dort zu studieren. Dass man die Eltern, die Freunde, ja die ganze Familie zurücklassen wird. Es reizt. Es winkt aus der Zukunft. Es riecht süßlich nach Freiheit. Und doch weiß man dann, es kommt so auf einmal, dieses Gefühl, als würde es einen auf ein Schlag abreisereif machen wollen, nicht nur nach Deutschland, ins Leben überhaupt. Man weiß dann, man spürt es ganz genau, dass die Kindheit rum ist.

Реквием по детству

 

Я в шоке. Мир перевернулся.
Где пол — теперь уж потолок.
Мой милый детский уголок
В своих стремленьях обманулся.

 

Мечты, как фишки домино,
Разрушились в одно мгновенье
От небольшого дуновенья,
И что-то вроде сожаленья,
Чего понять уж не дано.

 

Померкли вдруг глаза игрушек,
Дверь в сказку — крепко на замок,
Тот мир, что вырасти помог,
Взорвался мишурой хлопушек.

 

Все убежденья стали ложью,
А правда больше не чиста,
Вся жизнь как с чистого листа,
Будто маршрут по бездорожью.

 

 

Но мы стараемся жить дальше.
Повсюду слышен звон стекла,
Кривые бьются зеркала
Осколками надменной фальши.

sinngemäß & rhythmisch

 

Ein Requiem auf die Kindheit

 

Ich bin schokiert. Die Welt steht Kopf.
Wo Boden war, ist nun die Decke.
Die süße liebe Kinderecke.
Verrät die Wünsche, druckt den Knopf,

 

Die Träume wie Dominosteine dann
Im Augenblick herunterpurzeln,
Und etwas wie Bedauern wurzelt,
Dort, wo man kaum noch fühlen kann.

 

Der Blick der Puppe trübte sich,
Das Märchentor ist fest verschlossen.
Als hätte es die Welt zerschossen
Und im Lametta stehe ich.

 

Die Werte bügelten sich platt,
Die Wahrheit nicht mehr unberührt,
Ein Weg, der quer durchs Dickicht führt,

Alles von vorn, vom leeren Blatt.

 

 

Und doch wir werden uns nicht fügen.
Von überallher Glasgeklirr.
Der krumme Spiegel fantasiert
In Scherben stolzer Lebenslügen.


Warum schreibt man mit 16 Gedichte? Weil man sich im Sommercamp verliebt hat. 

 

Das war mein erstes Gedicht auf Deutsch, und ich möchte es nicht in der Schublade verstecken.

Auch um zu zeigen, dass man künstlerisch einen Schritt zurück in der Entwicklung machen darf. (Vor allem wenn man verliebt ist.) Um zu zeigen, dass wir Dichter auch nur mit Wasser kochen. Um zu zeigen, dass nicht jedes Werk gut werden muss, und man es trotzdem als ein kleines Lebenskapitel liebevoll behalten kann.

 

Am besten laut & pathetisch vorlesen.

Der Himmel ist grau. Für mich schon verboten.
Wir waren verliebt oder nur Idioten?
Es regnet zu stark. Es hilft dich vergessen.
Nein, ich kann nicht mehr. Ist nicht zu ermessen.

 

 

Ich träume von dir. Wir haben gesprochen.
Du kommst jeden Tag. Du hast’s mir versprochen.
Kein mehr cappuchino um länger zu schlafen.
Komm heute! Die Liebe kann Wunder noch schaffen...

Warum schreibt man mit 19 noch Gedichte? Weil man mittlerweile alleine im Ausland lebt. Weil man was geschafft hat. Weil man mittlerweile weiß, dass es nicht "Kein mehr Cappuchino" heißt. Und eigentlich alles gut ist. Und es dann trotzdem nicht ist. Weil man sich selbst sucht und nicht findet. Weil man zu gerne die anrollende Episode im Alkohol ertrinken möchte. Und das auch tut. Weil man das innere Kind-Ich, das nicht genug von der Unbeschwertheit gehabt hatte, zum sofortigen Schweigen, wenn nötig auch mit Gewalt, bringen möchte. Weil man dadurch erwachsen werden möchte. Und das eigentlich schon ist. Und das nicht ist.

Der Spiegel

 

Schau: der Spiegel lächelt,

Schau wie grob, wie unecht.

Brich ihn und glaub an die Frechheit.

Brich ihn. Es ist dein Recht.

 

Guck wie die Leute gehen,

Guck wie sie gehen vorbei,

Schau. Vergiss, was geschehen

Ist. Schrei. Wenigstens schrei!

 

Schau wie möglich, wie brüchig

Ist deine Welt für dich selbst.

Schau, du wirst langsam süchtig,

Süchtig nach diesem Herbst.

 

Denk mal, was ist für dich Liebe?

Ist sie noch heilig und pur?

Diebe, beschissene Diebe

Rauben deine Natur.

 

Würge dein Kind, es ist drinnen,

So wirst du weniger hör’n.

Du bist gewöhnt an Gewinnen,

Preis ist genannt. It’s your turn.

 

Träume sind dunkel und grausam.

Wessen Gehirn stellt sie her?

Mensch, du stirbst ja schon langsam,

Finsternis wird zu dem Herrn.

 

Schneid deinen Finger. Du blutest?

Blutest mit kaltem Blut

Voll unbezähmbarem Mutes.

Tu es zu deiner Lust.

 

Trink auf deine Gesundheit,

Trink dich um den Verstand,

Schau: dein Spiegel lächelt,

Brich ihn mit eigener Hand.

Nun ja, der Herbst und der Spiegel ziehen sich sehr durch.

Das sind wohl meine Top 2 persönliche Archetypen.

 

Aber jetzt, 10 Jahre später. Warum schreibt man mit 29 noch Gedichte?

Weil man nicht anders kann.

 

***

 

Ein Vater im Knast. Weil seine Tochter eine Taube gemalt. 

Während ein Vater, der die Mutter erstochen, sich einen Döner holt.

Ein Monat Krieg, wer’s überlebt, darf hier vorzeitig raus.

Die Mörder auf Straßen Moskaus. Ich halte es nicht mehr aus!

 

Wie wurde aus „nie wieder“ – „wir können‘s wiederholen“?

Bucha, Irpin, Kramatorsk. Drei Kinderwägen stehen leer, und keiner wird sie holen.

Ich riss die Wurzel mit der Erde raus, verbrannte die Brücken, 

Doch hinter mir die Geister stopften mit russischer Seele die Lücken.

Ich hab mich abgekapselt, mich damit vorläufig befreit.

Doch diese Stimme in mir drin, die immer weiter schreit...

 

Warum Krieg?

Warum Krieg?

Es darf niemals sein.

Nein zum Krieg!

Nein zum Krieg!

Niemals. Nie. Nein!

Warum Krieg?

Warum Krieg,

Als gäb’s keine Wahl?

Reglementiertes töten ist doch nicht normal!

 

Ich renne weg und um die Ecke. Ich könnte schreien!

Die Welt scheint einfach allgemein noch nicht so weit zu sein.

Entflohen der Diktatur und angekommen in die neue bessre Welt,

In der man sagen darf, was einem taugt und was einem fehlt.

 

Und deshalb frage ich euch, uns alle: Warum Krieg? Was tun?

Worüber diskutieren? Wann ist es endlich aus? Und nun:

Wir erfinden eine Impfung dies und das und Chat GPT, 

Doch es fehlt uns dabei mächtig an der Empathie. 

Wenn wir nicht noch vor der Umweltkatastrophe aussterben wollen,

Warum ist dann ein Krieg für uns so normal geworden? 

 

Kriegsrecht erlaubt es... Töten wird reglementiert.

Wir reden über Waffenlieferungen und Fluchtursachen noch am Frühstücktisch.

Terminator im Kino, wir haben schon die Karten.

Dann spielen wir mitm Kind noch mit den Wasserpistolen im Garten.

Wenn das Wetter gut ist, warum denn nicht?

Nur eine leise Stimme flüstert mir ins dritte Ohr, ich sei ein Bösewicht.

 

Ich hab doch so viel getan, bis es nicht mehr ging,

Einige wenige schlagen sich nicht so gut im Ring.

Und wenn sich die Verzweiflung immer breiter macht, 

Dann löscht sie alles aus, egal wie weit man es gebracht. 

  

Titelseite: Ukraine neben Beachbodytipps und Europapokal. 

Wir entspannen uns zu Tatort. Mord und Totschlag sind genial. 

Warum gibt es ne Wasserpistole für 1 Euro im Laden um die Ecke?

Warum spielen Kinder Krieg, verbarrikadieren sich hinter der Hecke?

 

A8 getroffen A9 versenkt. Seeschlacht noch auf Papier.

Wir gewönnen unsere Kinder an die Welt, in der es überall brennt, nur nicht hier.

Drei Chinesen mit dem Kontrabass haben Angst vor dem schwarzen Mann,

Mein Matrosenschatz zieht in den Krieg, und ich trag blau wo ich‘s nur kann.

Die Galge wartet, na, noch zwei Buchstaben, komm, denk nach.

Das Männchen auf dem Blatt Papier schreit sich wach

und fragt

 

Warum?