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Was ist Freiheit?

 

Die Gedanken sind frei, wer kann sie erraten?

Sie fliegen vorbei wie nächtliche Schatten.

Kein Mensch kann sie wissen, kein Jäger erschießen,

es bleibet dabei: die Gedanken sind frei.

 

Und sperrt man mich ein im finsteren Kerker,

das alles sind rein vergebliche Werke.

Denn meine Gedanken zerreißen die Schranken

und Mauern entzwei: die Gedanken sind frei.

 

 

Was ist aber jetzt die Freiheit? Was genau ist damit gemeint?

 

Vielleicht liegt genau darin das Problem, wenn wir um Freiheit streiten: Dass wir mit dem Wort Freiheit etwas benennen wollen, das uns selbst nicht ganz klar ist. Ist es ein Gefühl? Oder ein Zustand? Eine Struktur? Eine Forderung? 

 

 

Beginnen wir erstmal mit Kant. Kants Freiheitsbegriff ist kein Tun, was man will. Freiheit ist bei ihm die Autonomie des Willens, die Fähigkeit, sich selbst moralische Gesetze zu geben. Es ist eine Freiheit, die nicht bloße Willkür ist, sondern vernünftige Selbstgesetzgebung. Isaiah Berlin hat daraus später zwei Begriffe gebildet: Freiheit von (Freiheit von inneren und äußeren Zwängen) und Freiheit zu (Freiheit zu einem selbstbestimmten Handeln).

 

Was meinen wir also, wenn wir von Freiheit reden: das von oder das zu? Viktor Frankl, Psychiater und Holocaust-Überlebender, schreibt: „Die letzte der menschlichen Freiheiten besteht in der Wahl der Einstellung zu den Dingen.“ Dei Freiheit der Gedanken, die man keinem nehmen kann. Vielleicht ist das schon der erste Schlüssel: Die Freiheit beginnt nicht im äußeren Handeln, sondern im inneren Erleben.

 

Dann schauen wir da etwas tiefer in unser Inneres hinein. Was sagt die Neurowissenschaft? Benjamin Libet hat gezeigt, dass unser Gehirn schon 500 Millisekunden vor dem bewussten Entschluss in Richtung Handlung aktiv wird. Wir tun also, bevor wir denken. Heißt das jetzt, wir sind unfrei? Nicht unbedingt. Philosophen wie Daniel Dennett und Alfred Mele sprechen vom Vetorecht, davon, dass wir zwar Impulse empfangen, aber dennoch entscheiden können, ob wir ihnen folgen. Es gibt auch einen Moment, wo wir die zu ausführende Handlung last minute unterdrucken können. Vielleicht ist es genau dieses Innehalten, dieser Moment zwischen Impuls und Handlung, in dem Freiheit wohnt?

 

Was passiert aber bei diesem Innehalten, wenn andere dabei sind? Nun ja, auch die Sozialpsychologie kennt die Grenzen der Freiheit. Im berühmten Asch-Experiment gaben Versuchspersonen wissentlich falsche Antworten, nur weil die Gruppe es tat. Wir sind soziale Wesen. Unsere Prägungen, unser Milieu, unsere Herkunft beeinflussen uns tief. Sind wir also doch unfrei?

 

Es gibt Menschen, die über sich hinauswachsen. Die ihre Entscheidungsmaschine umprogrammieren, wie Harry Frankfurt es nennt. Er unterscheidet zwischen Freiheit erster Ordnung (tun können) und zweiter Ordnung (reflektieren, was man tun will). Diese zweite Ordnung, das Wollen des Wollens, ist vielleicht das, was Freiheit im eigentlichen Sinn meint. Sie ist nach Frankfurt nur den Menschen vorbehalten. Wir können z. B. Japanisch lernen, und damit erweitert sich unser Horizont. Dann könnten wir nach Japan reisen, japanische Bücher im Original lesen und so weiter. Diese neue Freiheit hätten wir nicht ohne dass wir unsere Entscheidungsmaschine umprogrammiert oder besser gesagt geupgradet hätten.

 

Schön und gut, wir haben also Japanisch gelernt und freuen uns des Lebens, durch Tokios Straßen schlendernd. Was aber, wenn das sowieso genau so und nicht anders kommen musste? Was, wenn das ganze Universum determiniert ist? Wenn alle Teilchen ihren Weg schon kennen, inklusive jeder einzelnen Synapse unserer Gehirne? Dann könnte der Laplacesche Dämon, ein Konzept eines allwissenden Wesens, das ganze Universum bis auf das letzte Neutrino begreifen und vorhersagen.

 

Und doch: Wenn wir es nicht wissen oder merken können, dass alles determiniert ist, spielt es dann eine Rolle? Nick Bostroms Simulationstheorie stellt dieselbe Frage. Was, wenn wir in einer Simulation leben, einer Art Matrix, was dann? Die Antwort vieler Philosophen, und denen schließe ich mich gerne an: Auch wenn alles vorbestimmt ist, macht es einen Unterschied, dass wir es erleben, als ob es nicht so wäre. Wenn wir also die Matrix nicht wahrnehmen können, sind wir genauso frei in unserem Als-Ob.

 

Abgesehen davon ist es aus ethischer Sicht, meiner Meinung nach, nur vertretbar, so zu handeln, als wären wir frei. Denn ohne Freiheit gibt es keine Verantwortung. Und in einer Welt ohne Verantwortung wollen wir nicht leben. Wenn die Welt also vollständig determiniert ist und wir gütig handeln, dann war dieses Handeln ohnehin unvermeidlich, es hätte nicht anders kommen können. Ist die Welt jedoch nicht determiniert, sondern erlaubt echte Entscheidungen, und wir handeln dennoch gütig, dann haben wir uns moralisch richtig verhalten. In beiden Fällen sollten wir uns für das Gute entscheiden, auch es wenn nur im zweiten Fall auf unsere Entscheidung wirklich ankomt. Es ist aus ethischer Vorsicht klüger, von Freiheit auszugehen, schon allein wegen der Möglichkeit, dass sie real sein könnte.

 

Und dann ist da noch die Quantenphysik, die ziemlich viele Dinge real macht. Auf subatomarer Ebene gibt es keine festen Bahnen. Das sind alles nur Wahrscheinlichkeiten. Da würde auch der Laplacesche Dämon abwinken und sich eine Tüte Popcorn holen. Roger Penrose spekuliert sogar, ob diese subatomare Offenheit mit unserem Bewusstseinsempfinden zu tun haben könnte, was wir alleine durch die Neuronenverknüpfungen seit Jahren nicht erklärt bekommen. Und wenn dann also unser Bewusstsein zu den ebenfalls bewussten Handlungen führt, dann wäre das doch schon die Freiheit, oder nicht? Vielleicht ist Freiheit also nicht die absolute Willkür, sondern die Fähigkeit, innerhalb eines Wahrscheinlichkeitsfeldes so aber auch anders zu handeln, als erwartet. Vielleicht ist sie, zumindest im rebellischen Sinne, genau das: die Entscheidung gegen die eigene Statistik.

 

Wir sagen ja oft: Ich habe mir die Freiheit genommen. Meist meinen wir damit den Mut, etwas zu tun, was nicht selbstverständlich war. Gerade dort, wo Freiheit fehlt, entsteht der tiefste Freiheitsakt. Wer in einer Diktatur aufbegehrt, nimmt sich etwas, das ihm nicht gewährt wurde. Diese Freiheit ist eine Grenzüberschreitung und zugleich auch ein moralischer Anspruch. Vielleicht ist das der wahre Ort der Freiheit: nicht im Erlaubten, sondern genau da, wo es nicht von selbst geht, im Gewagten, im Rebellischen?

 

Ist jede Grenzüberschreitung dann auch schon Freiheit? Wenn jemand stiehlt, sagen wir ja nicht: Er hat sich die Freiheit genommen. Wir verstehen unter Freiheit also stillschweigend auch Verantwortung. Die Freiheit des einen endet dort, wo die des anderen beginnt. Aber das ist nur die halbe Wahrheit. Denn manchmal, wie bei Robin Hood, überschreitet jemand die Grenze der anderen, der Gerechtigkeits willen. Robin Hood nimmt den Reichen also ihre Freiheit, ihr Eigentum zu behalten. Und doch feiern wir ihn. Weil wir das moralische Recht dieser reichen Unterdrucker auf ihr Eigentum in Frage stellen.

 

Die Freiheit ist also auch relational. Sie bewegt sich zwischen Eigenem und Anderem. Zwischen System und Empfinden. Zwischen Gesetz und Gefühl. Und damit kommen wir zur Sprache.

 

Wenn wir Freiheit sagen, meinen wir oft Unterschiedliches. Manchmal meinen wir Möglichkeiten, manchmal Rechte, manchmal Emotionen.

 

Wir könnten uns eigentlich viel präziser ausdrucken.

Statt pauschal von Freiheit zu sprechen, könnten wir auch sagen:

  • Ich habe die Möglichkeit, zwischen Optionen zu wählen. 

  • Ich bin unabhängig von äußeren Zwängen.

  • Ich handle autonom, also nach eigenen Prinzipien. 

  • Ich fordere Gerechtigkeit, wenn mir Handlungsspielräume verwehrt werden.

Und doch bleibt etwas zurück, wenn wir das Wort Freiheit aus unserem Vokabular streichen. Denn was keiner dieser Begriffe ausdrückt, ist das Erlebnis. Die Qualia.

 

Der Moment, in dem ich spüre: Ich kann. Ich muss nicht, aber ich kann. Oder ich muss anders, und ich kann trotzdem.

 

Freiheit ist das Wort für deises Offene, Unbestimmte, Begehrte. Wie wenn der Wind durch die Haare saust, wenn ich in einem Boot an Venedigskünste vorbeiflitze. Wenn ich auf der Demo das Mikro in die Hand nehme und in die Menge blicke. Wenn ich in die tiefe Nacht oder das frühe Morgen aufbreche, einfach so ohne Sinn und Zweck. Für diesen Moment zwischen Angst und Mut. Zwischen Anpassung und Aufbruch. Nur dieser eine Moment, dieses Gefühl, diese Momentaufnahme eben. Ein stilles Frame, nur die Haare sausen. Sonst ist alles still oder in Slow-Mo.

 

Wenn wir aber einen Zustand der Handlung beschreiben wollen, der diesem Gefühl der Freiheit dann enspringt, beziehungsweise auf ihn folgt, brauchen wir ein anders, neues Wort. Wie Wahlmut als bewusste, verantwortliche Entscheidung gegen das Erwartbare. Als eine Handlung im Angesicht von Risiko und Verantwortung. Als Austarieren moralischer Räume. Mutig, aber nicht leichtsinnig. Möglich, aber nicht beliebig.

 

Wenn wir also diese beiden Begriffe trennen, könnten wir der Freiheit ein neues Zuhause geben: nicht als politischer Grundwert oder vager Rechtsbegriff, wo wir alle nicht wirklich wissen, wovon wir da reden, sondern als Qualia, als menschliches Erleben. Ein Gefühl, wie Freude oder Trauer. Und so gesehen, ist die Freiheit nicht das Ziel, sondern der Raum, in dem Ziele und Entscheidungen erst entstehen.